Die Schriftstellerin Rama reist in die französische Kleinstadt Saint-Omer, um dem Prozess gegen Laurence Coly zu folgen. Die Angeklagte Coly, eine Philosophiestudentin mit einem senegalischen Familienhintergrund, wird beschuldigt, ihre 15 Monate alte Tochter ermordet zu haben. Alice Diop, zweifellos eine der herausragendsten Filmemacher:innen aus Frankreich, inszeniert mit ihrem ersten Spielfilm SAINT OMER ein Tribunal, das auf dem realen Fall Kabou basiert und auch Texte aus den Prozessakten verwendet. Die Filmemacherin verfolgte den Prozess im Gerichtssaal und beschäftigte sich intensiv mit der Lebensgeschichte der Angeklagten. Gewissermaßen spiegelt die Protagonistin Rama auch die persönliche und ambivalente Faszination der Filmemacherin gegenüber dem realen Fall. Somit entstehen vielfältige Ebenen, Momente und Überlagerungen, die das Dokumentarische mit dem Fiktiven und private Erfahrungen mit dem öffentlichen Diskurs verknüpfen. In diesem Gerichtsdrama geht es nicht nur um einen außergewöhnlichen Fall, sondern um eine komplexe Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Gegebenheiten. Traumata, verursacht durch Rassismus und Misogynie, erlebt von einer schwarzen Frau und Mutter verweben sich zu einer modernen Medea-Erzählung. Wer dabei zuschaut, sitzt nicht nur im Kino, sondern im Gericht und muss am Ende doch sein eigenes Urteil fällen. (Can Sungu)
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