Die Schließung öffentlicher Orte während der Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass sich die kollektive Erfahrung des Filmesehens im Kino nicht in die eigenen vier Wände verlagern lässt. Soziale Öffentlichkeit braucht die Kinos, in denen Filme gemeinsam gesehen werden können und diese Erfahrung mit anderen Menschen erleb- und vor allem diskutierbar wird. Denn Kino ist mehr als das Sehen von Filmen. Kino ist ein sozialer Diskursraum, ein Ort des Austausches und der Solidarität. Kino kann abseits von Kommerz und festgefahrenen Strukturen ein Raum sein, an dem Menschen der Filme wegen zusammenkommen, ein transtopischer Raum, der Zugänge öffnet, Diskussionen anregt, weiterbildet, bewegt, provoziert und ermutigt. Kinos sind Teil einer öffentlichen Stadtarchitektur und gleichzeitig in sich geschlossene Sehnsuchtsorte mit utopischem Charakter. Auf der großen Leinwand erschließen sich uns vielfältige Welten, in die wir durch die Filme eintauchen können. Kino kann so neuartige Verbindungen zwischen der Welt des Films und der Stadt schaffen.
Mit diesen Überlegungen eröffnen wir am 3. September 2020 unser Kino-Experiment SİNEMA TRANSTOPIA imHaus der Statistik mit der Reihe RESTART: SİNEMA. Für das Eröffnungsprogramm haben wir uns mit verschiedenen Kurator*innen zusammengeschlossen, um eine Reihe mit Filmen zu gestalten, die das Kino als einzigartigen sozialen und ästhetischen Raum reflektieren.
Seit fünf Jahren veranstaltet bi’bak das Filmprogramm bi‘bakino, das transnationalen, postkolonialen und (post)-migratischen Perspektiven einen Raum gibt und damit lokales Geschehen zu globalen Entwicklungen ins Verhältnis setzt. Die Praxis von bi’bak hat gezeigt, dass das Kino als sozialer Begegnungsraum, der unterschiedliche Communities und ästhetische Herangehensweisen zusammenbringt, nicht an Bedeutung verloren hat. Ebenfalls gibt die Initiative Haus der Statistik Impulse, um aus dem ehemaligen DDR-Verwaltungsgebäude einen gemeinschaftlichen Ort zu machen, der Kultur, Soziales, Bildung und integriertes Wohnen miteinander verbindet. Daher hat unser mit Austausch und Partizipation engagiertes Kino in der Pioniernutzung des Haus der Statistik einen idealen Standort gefunden.
Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds
Kuratiert von Popo Fan, Tobias Hering, Malve Lippmann, Branka Pavlović, Can Sungu, Sarnt Utamachote und Florian Wüst
Popo Fan ist ein in Berlin lebender chinesischer Diaspora-Filmemacher, Kurator und Autor. Zu seinen Filmen gehören Dokumentarfilme über queeren Aktivismus und sexpositive Kurzfilme. Seit mehr als einem Jahrzehnt organisiert er das Beijing Queer Film Festival und gründete das Queer University Video Training Camp in China.
Tobias Hering arbeitet als unabhängiger Filmkurator. Schwerpunkt seiner Arbeit sind Filmprogramme zu bildpolitischen Fragestellungen und der Rolle von Archiven. Er hat Griseys und Tourés langjährige Recherchen als Kurator, Moderator und Freund begleitet, und zu ihrem gemeinsamen Buch Sowing Somankidi Coura, A Generative Archive (Archive Books, 2017), beigetragen. WEBSITE
Branka Pavlovic studierte Film-und Fernsehen an der Universität Belgrad und schloss 2009 mit dem Master im Institut für Kunst im Kontext an der UdK Berlin ab. Seit 2009 leitet sie als Programmdirektorin das Human Rights Film Festival Free Zone in Belgrad. Als Stipendiatin entwickelte sie an der nGbK Berlin das Kunstvermittlungsprogramm und führt als freie Kunstvermittlerin und Workshopleiterin u.a. an der FU Berlin zahlreiche Seminare und Workshops durch.
Can Sungu ist freier Künstler, Kurator und Forscher. Er studierte Film, interdisziplinäre Kunst und visuelle Kommunikationsdesign in Istanbul und Berlin. Er unterrichtete Film- und Videoproduktion, kuratierte verschiedene Filmprogramme bzw. Veranstaltungsreihen zu Film und Migration und nahm an zahlreichen Ausstellungen teil. Als Juror und Berater war er u.a. für Berlinale Forum, Internationale Kurzfilmtage Oberhausen und Berliner Künstlerprogramm des DAAD tätig. Er ist Mitbegründer und künstlerischer Leiter von bi‘bak und Sinema Transtopia in Berlin.
Sarnt Utamachote (ษาณฑ์อุตมโชติ) ist ein:e nonbinäre Filmemacher:in und Kurator:in. Sarnt ist Mitgründer:in des Künstler:innen-Kollektivs un.thai.tled und hat zahlreiche Filmveranstaltungen und Ausstellungen zu postkolonialer Geschichte, südostasiatischer Diaspora und Aktivismus kuratiert. Derzeit arbeitet Sarnt in der Auswahlkommission für das Xposed Queer Film Festival Berlin und das Short Film Festival Hamburg.
Florian Wüst kuratiert Filmprogramme und Ausstellungen für internationale Kunstinstitutionen, Kinos und Festivals. Er ist Mitgründer der Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt, die die sozialen, kulturellen und ökonomischen Veränderungen in Berlin und anderen Städten thematisieren.