1. Programm
  2. /
  3. Filmreihen
  4. /
  5. Stadt, Land, Fremde
  6. /
  7. KURZFILME – STADT, LAND, FREMDE

KURZFILME – STADT, LAND, FREMDE

OmeU
Im Anschluss Gespräch mit Alex Gerbaulet, Ezra Gerhardt-Schubert und Mareike Bernien

Das Zimmer, Johannes Beringer, BRD 1966, 15′
Inventur – Metzstrasse 11, Želimir Žilnik, BRD 1975, 9′
Ich deutsche Behörde, Ezra Gerhardt & Alf Böhmert, BRD 1981, 24′
Nyx, Claire Hooper, UK/DE 2010, 22′
Tiefenschärfe / Depth of Field, Alex Gerbaulet & Mareike Bernien, DE 2016/17, 15′

Mit einem Schwerpunkt auf Berlin begeben sich die Filme des Kurzfilmprogramms von Stadt, Land, Fremde in Stadt- und Wohnräume, Amtszimmer, Treppenhäuser und U-Bahnhöfe. Auf dokumentarische wie künstlerisch-essayistische Weise werden migrantische Erfahrungen von Stadt und Alltag, Gewalt und Erinnerung aufgezeichnet, fiktionalisiert und in ihrer politischen Bedeutung reflektiert. Eine Zeitreise durch fünf Jahrzehnte einer Ästhetik der Migration, die zunehmend auch von experimentellen filmischen Arbeiten getragen wird, „welche Film ebenso als Mittel der Repräsentation wie als Methode der Exploration nutzen“ (1).

(1) Jana König, Elisabeth Steffen, Conflicted Copy ein Streifzug durch das Filmprojekt Mauern 2.0. Migrantische und antirassistische Perspektiven auf den Mauerfall. Gestern und heute, in: Frauen und Film, Heft 67: Migration, 2016, S. 25.

Das Zimmer (The Room), Johannes Beringer, BRD 1966, 15′
German original

In Das Zimmer verarbeitet der Schweizer dffb-Student Johannes Beringer seine ersten Eindrücke als Fremder in West-Berlin und experimentiert zudem mit Bild, Ton und Montage. Die dokumentarischen Aufnahmen von Häusern, Straßenzügen, Verkehrsmitteln und Menschen halten den Kontrast zwischen Fortschritt und Stillstand fest und offenbaren die ungleichen sozialen Realitäten der Stadt: Immer wieder kehrt der Film zu Beringers Zimmernachbar zurück, einem Mann aus dem Libanon, der mit einem Freund einen Artikel über den ägyptischen Staatspräsidenten Gamal Abdel Nasser diskutiert und erfolglos versucht, eine Wohnung zu finden.

Inventur – Metzstrasse 11 (Stocktaking – Metzstrasse 11), Želimir Žilnik, BRD 1975, 9′
German-Turkish original with English subtitles.

In den 1970er Jahren lebte der serbische Filmemacher Želimir Žilnik in Westdeutschland. In dieser Zeit entstand Inventur – Metzstrasse 11: Ein Kurzfilm über die Bewohner*innen eines alten Mietshauses in München-Haidhausen. Jeweils kurz im Treppenhaus innehaltend, stellen sie sich – die meisten von ihnen sind „Gastarbeiter*innen„ – ihre Lebensumstände und Zukunftswünsche vor. Sie bestimmen selbst, was und wieviel sie vor der Kamera erzählen. In seiner außerordentlichen formalen Einfachheit thematisiert der Film die damalige Praxis, Wohnhäuser durch Vernachlässigung und Überbelegung mit Gastarbeiter*innenfamilien herunter zu wirtschaften, um sie dann durch Abriss oder Sanierung gewinnträchtig zu verwerten.

Ich deutsche Behörde (Me, German Department), Ezra Gerhardt & Alf Böhmert, BRD 1981, 24′
German original

So gut wie ohne Kommentar zeigt Ich deutsche Behörde die Arbeit einer Westberliner Ausländerbehörde in den frühen 1980er Jahren. Zuerst steht das „Dokumentieren der Dokumentation“ (Nicole Wolf) im Vordergrund: Asylsuchende werden auf Stockwerke und Zimmer verteilt, Fingerabdrücke abgenommen, Gesichtsprofile mit Messlatte im Bild fotografiert, Befragungen mit Hilfe von Dolmetscher*innen durchgeführt. Später beobachtet der Film die konkreten Handlungen im Prozess der Ausweisung von Personen ohne Aufenthaltstitel – von der Ausweiskontrolle über die Inhaftierung bis zur Abschiebung via Flughafen Tegel, in welcher sich die in den standardisierten Verwaltungsvorgängen versteckte Gewalt auf brutale Weise verdeutlicht.

Nyx, Claire Hooper, UK/DE 2010, 22′
English-German original

In der griechischen Mythologie gibt uns die Erdgöttin Gaia den Topos der Stadt, während uns Nyx, die Göttin der Nacht, den inneren Freiraum schenkt. Die Nachkommen von Nyx sind eine mächtige Schar, die menschliche Erfahrungen wie Wut, Streit und Freundschaft verkörpern. Mit Thanatos, dem Gott des ruhigen Todes, seinem Zwillingsbruder Hypnos und seiner Frau Pasithea, der Göttin der Halluzinationen, beginnt die Odyssee eines jungen Mannes aus Kreuzberg mit der U-Bahnlinie 7 Richtung Spandau. Die U7, deren Bahnhöfe von Oberbaurat Rainer G. Rümmler gestaltet wurden, verläuft entlang der Spree und wird in Nyx zu Lethe, dem Fluss des Vergessens. Der Plot des Films basiert auf Alltagsanekdoten kurdischer Freund*innen und Bekannten, die eine ähnliche, wenn auch ungeschriebene Erfahrung der jüngeren Geschichte Berlins teilen.

Tiefenschärfe / Depth of Field, Alex Gerbaulet & Mareike Bernien, DE 2016/17, 15′
Deutsche Originalfassung mit englischen Untertiteln

Nürnberg 2016. Vor 17 Jahren explodierte in dieser Stadt in einer Bar eine Bombe. Vor 16, 15, 11 Jahren wurden ein Blumenhändler, ein Änderungsschneider, ein Imbissbesitzer ermordet. Wie filmt man einen Tatort, so dass er auch einfach Ort sein kann? Ein Ort, von dem aus man auf die Stadt schaut. Ein Ort, der schaut. Ein Ort, der sich schüttelt und wehrt, gegen das Filmteam, gegen die Erinnerung an die Tat. Inspiriert von den Denkbewegungen und Ästhetiken des Schriftstellers, Künstlers und Filmemachers Peter Weiss untersucht Tiefenschärfe / Depth of Field Orte in Nürnberg, an denen der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) Mord- und Bombenanschläge verübt hat.

Mareike Bernien lebt in Berlin und arbeitet als Künstlerin zwischen performativem Film, Sound und Text. Mit einem medienarchäologischen Ansatz hinterfragen ihre Arbeiten ideologische Gewissheiten von Repräsentation, ihre materiell-technologischen Voraussetzungen und historischen Kontinuitäten.

Alex Gerbaulet, geboren 1977, lebt und arbeitet als Künstlerin, Filmemacherin und Kuratorin in Berlin. Sie studierte Philosophie, Medienwissenschaften und Freie Kunst in Braunschweig und Wien. Sie erhielt zahlreiche Stipendien, ihre Arbeiten wurden international ausgestellt und ihre Filme wurden auf diversen Festivals im In- und Ausland gezeigt. Außerdem arbeitet sie als Dozentin und als selbstständige Kuratorin für Kunstinstitutionen und Festivals. Seit 2014 arbeitet sie als Autorin und Produzentin bei pong film Berlin.

Ezra Gerhardt-Schubert ist Filmregisseur, bekannt für den FIlm Ich, deutsche Behörde, den er 1981 zusammen mit Alf Böhmert realisierte.