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Lara Sielmann im Gespräch mit Amanda Lee Koe
Bei einer zufälligen Begegnung auf einer Berliner Soiree im Jahr 1928 hält der Fotograf Alfred Eisenstaedt drei sehr unterschiedliche Frauen in einem Bild fest: die aufstrebende deutsche Schauspielerin Marlene Dietrich, Anna May Wong, den ersten chinesisch-amerikanischen Filmstar der Welt, und Leni Riefenstahl, die durch ihre Arbeit als Regisseurin von Propagandakunstfilmen erst berühmt und dann berüchtigt werden sollte.
Dieses Foto ist der Ausgangspunkt von Amanda Lee Koes Debütroman Die letzten Strahlen eines Sterns. Die Lebenswege der drei Frauen führen vom Weimarer Berlin bis nach Hollywood, und die verschiedenen Schauplätze, an denen sie sich aufhalten, sind ebenso vielschichtig strukturiert wie die Rollen, die sie spielen: Sirene, Opfer, Jägerin oder Geliebte, jede davon eine fein abgestimmte Darbietung.
1932, vier Jahre nach der Aufnahme des Eisenstaedt-Fotos, war die Dietrich, die Muse und Geliebte des Filmemachers Josef von Sternberg war, in Amerika zum Superstar aufgestiegen. Shanghai Express, an dem auch Anna May Wong mitwirkte, ist der vierte von sieben Filmen, die Dietrich gemeinsam mit von Sternberg für Paramount Pictures drehte.
Shanghai Express war ein sogenanntes „Starvehikel“ für Dietrich – ein Film, der ganz auf einen einzigen Star setzt. Aber Wong stiehlt Dietrich die Show. Der Film sowie dessen Produktion und Rezeption wurden von Amanda Lee Koe exzellent recherchiert und neu erzählt in ihrem Roman Die letzten Strahlen eines Sterns, der die beruflichen Spannungen zwischen zwei herausragenden Schauspielerinnen ebenso beleuchtet wie die persönliche Dynamik rund um die Gerüchte, dass Dietrich und Wong eine Affäre miteinander hatten.
Dieses Meisterwerk aus der Pre-Code-Ära zusammen mit einer Lesung aus Die letzten Strahlen eines Sterns anzuschauen, bietet dem Publikum die Möglichkeit, über die Verwicklungen und Zwänge von Macht und Performance, sowohl am Set als auch hinter den Kulissen, nachzudenken.
In Kooperation mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD
Die Schriftstellerin Amanda Lee Koe wurde in Singapur geboren und lebt seit einigen Jahren in New York. Ihr Debüt, die Kurzgeschichtensammlung Ministerium für öffentliche Erregung (Ministry of Moral Panic), wurde 2013 veröffentlicht und mit dem Singapore Literature Prize ausgezeichnet. Ihr Roman Die letzten Strahlen eines Sterns (Delayed Rays of a Star) ist 2019 erschienen. Derzeit lebt sie als Fellow des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in Berlin.
Lara Sielmann ist Kulturjournalistin, Literaturkritikerin und -kuratorin. Als Redakteurin und Autorin arbeitet sie für den Deutschlandfunk Kultur und steht regelmäßig als Moderatorin von Lesungen und Podiumsdiskussionen auf der Bühne, am Museum Charlottenburg-Wilmersdorf kuratiert sie die Lesereihe "Berliner Gegenwartsliteraturen". Sie lebt in Berlin.